Lesedauer: 7 Minuten | Autorin: Elsa (Name geändert)

Ein Großunternehmen der Lebensmittelindustrie stellt mehr und mehr vegane Produkte her, eine weltweite Fastfood-Kette bringt einen veganen Burger auf den Markt und beinahe in jedem Supermarkt gibt es Eigenmarken, die vegane Produkte anbieten. Willkommen im Jahr 2019, in dem veganer Lebensstil nicht mehr bloß ein kurzfristiger Trend, sondern zum festen Lebenskonzept geworden ist.

Denn als ich mich für eine vegane Lebensweise entschied, musste ich mit viel Mühe und Not eine Sorte Pflanzenmilch und Naturtofu im normalen Supermarkt suchen, oft auch in mehreren Anläufen und aß unterwegs frisches Obst und im Restaurant die obligatorischen Pommes mit Ketchup. Berufliche Kurzreisen, Essen gehen mit Freund*innen und Unternehmungen musste ich langfristig planen, Essen mitnehmen und/oder vorkochen. Ich erinnere mich an Situationen, in denen mir die Pommes zum Halse heraushingen und ich viel darum gegeben hätte, auf der Autobahn nach 3h Stau einfach bei der berühmt berüchtigten Fastfood-Kette heranzufahren, um mir einen veganen Burger zu gönnen. Ich bin glücklich, dass sich in den acht Jahren, in denen ich nun vegan lebe ernährungstechnisch so viel getan hat, dass es in vielen Ballungsräumen und mit Hilfe von Onlineversand viel weniger schwer ist, sich vegan zu ernähren und damit auch auf alle anderen Aspekte von Veganismus aufmerksam zu werden.

Doch ich stelle fest, dass ich dieses Glücklichsein über steigende vegane Essensangebote als Konfrontationspunkt mit Veganismus im Alltag nicht mit allen veganen Aktivist*innen teile. Während ich mich über ein neues Angebot im Mainstream-Bereich freue und über die Gelegenheit, dass mit diesem Angebot mehr Menschen in ihrem Alltag mit Veganismus konfrontiert werden, sind gerade die Kommentarspalten in Social Media voll mit Wut, Aggression und sogar Hass und Hetze. Es wird sich darüber echauffiert, dass besagte Großunternehmen auf den „Vegan Trend“ aufspringen und „nur Geld verdienen wollen“. Und ich wundere mich: Ist es nicht der Sinn eines Großunternehmens Trends am Markt wahrzunehmen, entsprechend von Nachfragen Angebote zu schaffen und daran zu verdienen? Das heißt nicht, dass ich keine Probleme beim klassischen Kapitalismus wahrnehme, aber ich verstehe die Empörung darüber angesichts so viel kontrafaktischem „Es sollte doch anders sein“ Denken nicht. Es ist nun mal (derzeit) so und nicht anders. Unternehmen wollen Geld verdienen und dienen nicht nur dazu, möglichst viele Menschen zu beschäftigen. Welch Überraschung! Das darf Mensch gerne doof finden und auch kritisieren, teilweise stimme ich dieser Kritik auch gern zu, nämlich immer dann, wenn dieses Geld verdienen auf Kosten anderer Lebewesen geht.

Besagtes Großunternehmen der Lebensmittelindustrie lässt sich derzeit offen, ob mehr und mehr vegane Produkte; auch zu lasten von tierischen Erzeugnissen, produziert werden. Das heißt: mehr Pflanzen, weniger Tiere – aber auch immer noch Tiere, nur weniger. Ist es nicht genau dieser schrittweise Wandel, den viele vegane Aktivist*innen anstreben oder verstehe ich die Szene falsch? Durch Anreize, Anregungen, Informationen von Außen und letztendlich durch Nachfrage neue, vegane Angebote schaffen. Und genau DAS passiert zunehmend. Dass auch die „Großen“ auf diese Veränderungen reagieren ist nur folgerichtig.

Doch hält eine vegane Bloggerin beim Feiern das Dosenbier in die Kamera oder postet von Unterwegs den Burger des voldemordesken Fastfood-Unternehmens, wird sie dafür einem veganen Shitstorm ausgesetzt. Ja richtig gelesen: einem veganen! Anstelle es zu feiern, dass „die Großen“ nun auf die Nachfrage an veganen Speisen reagieren müssen, um ihren Status zu behaupten und die vegane Bewegung immer größer wird und in der Mitte der Gesellschaft; u.a. auch bei Lastkraftwagenfahrer*innen ankommt, weil diese auf ihren stundenlangen Touren an der Raststätte Werbung für vegane Speisen sehen, wird angeprangert, dass die bösen geldgeilen Unternehmen ja nur noch mehr Geld scheffeln wollen und/oder generell nur Dreck am Stecken haben und boykottiert gehören. Nur noch getoppt von Aussagen, man sei kein*e echte*r Veganer*in, nur weil man beim Feiern mal Dosenbier (Ressourcenverschwendung und Alkohol!) oder unterwegs mal den bösen Fastfood-Ketten-Burger (Ausbeuterunternehmen und Großkapitalisten!) konsumiert. Wird in irgendeiner veganen Gruppe auf Facebook ein neues Produkt gepostet kann Mensch schon darauf warten, dass es Kritik à la „Scheiß Verpackung“ oder „Böses Unternehmen“ hagelt!

Ich frage mich immer wieder, ob es wirklich allen vehementen Kritiker*innen tatsächlich darauf ankommt, langfristig den Veganismus und andere Formen der Nicht-Ausbeutung von Lebewesen in der Mitte der Gesellschaft bekannt zu machen oder lediglich das eigene Besserwissertum zur Schau zu stellen. Da schaut her, ich bin frei von allen kapitalistischen Einflüssen, baue alles selbst an und tippe meine Kommentare in den Sozialen Netzwerken in einem Internetcafé was nur fairen Kaffee anbietet und mit Solarzellen auf dem Dach betrieben wird!

Sicher bin ich selbst weit entfernt von einem „Hauptsache für die Tiere“ (HfdT) Ansatz unter dem auch Faschist*innen und Verschwörungstheoretiker*innen für Veganismus werben. Hier würde auch ich meine kritische Stimme erheben! Und ja, auch die anderen Kritiker*innen haben Recht: der Kapitalismus springt auf den veganen Zug auf, während Ausbeutung von Lebewesen weiterhin betrieben wird und es geht ihm (dem Kapitalismus) weder um Ethik noch um Tierrechte oder Umweltschutz. Trotzdem sehe ich darin das Potenzial, dass immer mehr Menschen in ihrem banalen Alltag jenseits von intellektuell dominierten Tierrechtsdiskursen und veganen Filterblasen mit tierleidfreier Ernährung konfrontiert werden und anfangen, sich über die Hinter- und Beweggründe der veganen Bewegung zu informieren und dann über andere, damit verwandte Themen wie Nachhaltigkeit etc. stolpern.

Ich verstehe die Wut, ich verstehe die Trauer derjenigen Menschen, die sich seit Jahren und Jahrzehnten für Tierrechte, Tier- und Umweltschutz einsetzen und ich verstehe es nur zu gut aushalten zu müssen, dass die hochindustrialisierte, westliche Welt – obwohl alle Informationen und Alternativen vorhanden sind – größtenteils immer noch so ist, wie sie ist und auf dem Leiden vieler Lebewesen und dem Wohl unseres Planeten aufbaut.

Aber letzten Endes leben wir alle gemeinsam in dieser Welt und ich finde, dass wir als Aktivist*innen nicht in „guter“ und „schlechter“ unterteilen sollten, wenn doch jeder seinen Teil beiträgt. Sicher kann man streiten, ab wann Kritik angebracht ist wie im Falle von HfdT Veganer*innen, die rechtem Gedankengut oder Schwurbelei verfallen. In manch anderen Fällen würde ich mir von Teilen der Bewegung mehr Realismus und langfristigeres Denken wünschen hinsichtlich dessen, dass das Aufspringen auf den veganen Zug von diversen Großunternehmen nur ein weiterer Zwischenschritt in einer westlichen Welt sein kann, in der Tierleid mehr und mehr abgebaut wird und sich Lebewesen viel eher die Hand als die geballte Faust reichen. Das Leben ist auch mal zum Genießen da!


3 Kommentare

Maria · 18. Juli 2019 um 17:41

Toller Artikel, sowohl inhaltlich, als auch vom Schreibstil her!

Sabrina · 5. September 2019 um 18:45

Richtig klasse. Es hat mich sehr angesprochen. Da ich nun schon länger vegan bin, kenne ich die geschilderte Thematik und leider auch Leute, die für die Tiere auch Rechtsextreme unterstützen würden. Das verstehe ich nicht, da ich ja kein Leid für Tiere will und Menschen da nicht ausschließen kann. Aber ich fahre generell auch einen pragmatischen Weg: wenn vegan mehr wird bei großen Ketten und im Mainstream, dann ist es doch das, was wir uns eigentlich wünschen sollten. Und eine Reduktion tierischer Lebensmittel würde auch der Umwelt sehr gut tun. Aber natürlich träume ich davon, dass die Welt irgendwann mal rein vegan ist: für die Tiere, die Umwelt und auch uns Menschen. Danke für deinen Artikel, der mir aus der Seele spricht und sich gut lesen lässt.

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